25.03.2021
Zeremonienmeister Marcel Hörler läuft heute rund in diesem dickmaurigen Kellergewölbe, das unter dem imposanten, alten Rathaus von Lichtensteig liegt. Wo die Ecken kleine Nischen sind und in jeder davon eine kunstgefertigte Einpersonenwelt darauf wartet, sich auf Frage nach Sinn und Risiko hin zu entfalten. Was droht, was verheisst?
Jan Hofer lässt sich auf fremdartig erscheinende Umgebungen oder alltägliche Tätigkeiten ein, sucht keine Konfrontation mit ihnen, sondern übersetzt und transformiert behutsam ihre Zeichen. Er fühlt sich wohl im kleinklammen Gewölbe, wo er seine selbstgebauten Minenlampen in einen niederen Bogen gehängt hat. Wer diese Lampen trägt, sucht kein Risiko, denn sie mildern es: Erfunden am Anfang des vorletzten Jahrhunderts als Lichtgeber in Stollen, wo explosive Gase waberten, erschlossen sie feindselige Gebiete, zähmten unsichtbare Gefahren. Jan Hofer birgt Ideen oder Materialien wie diese, die vergraben und vergessen wurden, weil ihnen der Nutzen abhandengekommen war. Aus seinen Werken schöpft er Kommentare für die Nachwelt: ein Licht, das aus seinem kleinen Käfig heraus Sicherheit verströmt, in Gedanken ans verriegelte Daheim, umzingelt von diffuser Bedrohung.
Nach solcher klingt es in der Nische, aus welcher der Computermusiker Chi Him Chik ohrenbetäubend verzerrte Sounds und stroboskopes Licht verzerrter Bildfetzen flackern lässt. Drastisch führen sie verdichtete und verschobene Szenen von politischer Dringlichkeit und Bedrängung mit sich. Dazwischen quetschen sich Wortfetzen, «versklaven» dringt durchs Gedröhne. In der Wölbung über Chi Him Chik attackieren beknüppelte Polizisten eine Untergrundbahn und drücken die Sehnsüchtigen auf die Bänke nieder. Kein Raum für Protestromantik, dystopisches Flimmern, das Risiko ist geschenkt. Wenn Chi Him Chik in Szene setzt, was Yuan-Teng Choke komponiert, setzt sie ihr Werk der Realisierung im selbstgeschaffenen Risikoraum aus. Die Komponistin will dahin, wo sich das Zentrum ihres geschriebenen Materials verliert, und vollzieht dabei Bewegungen von Kapital und Überwachung nach. Ihre Experimente hangeln sich einer Fundamentalfrage entlang: Wer trifft hier die Entscheidungen?
Nicht immer fühlte der Illustrator und Performer Claudio Näf, dass er richtig entschieden hatte, als er den Geist geweckt und seine Gestalt angenommen hat: LaMer, «ein Mann, der aus Versehen eine Perücke angezogen hat und auf einer Bühne gelandet ist», wie er das beschreibt, oder eine Figur, die Claudio Näf in sich selber aufgespürt hat. LaMer ist gewachsen aus Erbauungen und Verheerungen im Dschungel von Sex und Gender, fordert Männchen heraus, trägt Spuren von Unsicherheiten und Protest. Drag ist Beschwörung. Doch kann man das immer mögen, was da ans Tageslicht dringt und jenseits des Bühnenrands nach Resonanzen sucht?
Direkt in dieser ungewissen Kontaktzone, wo Werk und Wirkung ineinander übergehen, lässt der Aktions- und Klangkünstler Elischa Heller Realitäten verrücken und kollektive Träume fliegen. Aus verborgenen Winkeln steuert er die Sounds, die sich auffächern, während sie durchs Gewölbe drehen. Geisterhafte Liedfragmente verlieren sich gegenseitig im untiefen Raum, verwirren das nach Richtung suchende Bewusstsein. Hoch darüber zieht eine von Zartheit strotzende, computergeschminkte Stimme wie von einem anderen Ort dahin. Beharrlich dringt sie durch rauschende und fiepsende Maschinenräume, entrinnt ihren Schlünden, bevor auch der Beat zu schwärmen beginnt.
DAVID HUNZIKER
25.03.2021