26.08.2021
Wie hast du’s mit den Fehlern, Künstler*in? Wie falsch können deine Versuche sein? So fragt Brooke Jackson in die Runde aus drei. Kunstpraxis ist Versuch – natürlich, daran ist leicht anzuschliessen. Sie wisse nicht von vielen, die es anders sehen, sagt die Porträtmalerin Sara Lavelle: Wer nichts probiert, habe ja schon aufgegeben. Das Ende könnte für sie der Ort sein, wo ihr die Fragen ausgegangen sind – dann doch lieber die Verwirrung, die sie immer wieder anfangen lässt. Aber was macht einen gescheiterten Versuch aus, einen Fehler gar? Die Installationskünstlerin Nicolle Bussien mag «trial», aber nicht «error» – Fehlervokabular, wieso überhaupt? Denkt sie an die Form, versucht sie Endgültigkeiten in Versionen und Vielstimmigkeit aufzulösen. Doch die entschlossene politische Kritik will sie der ironischen Glätte nicht preisgeben – wenn sie, auf unzweifelhafte Diskriminierung hinweisend, etwa fragt: «Wie musst du in diesem Land aussehen, damit du dir Ladendiebstahl leisten kannst?» Nadia Leonhard denkt sich das Scheitern als eine Möglichkeit des Kontrollverlusts: Wenn ihre Werke die Resonanz verfehlen; oder sich, wenn sie Verselbstständigung zulässt, gegen ihre eigenen Sorgfaltspflichten wenden. Aus dem geschützten Ausstellungsraum heraus lässt sie das Publikum Performer*innen anleiten, schafft damit Möglichkeiten für Grenzübertretungen und nimmt sich als Herrin der Grenzen aus dem Spiel. Auch Nicolle Bussien erinnert daran, dass die Künstlerin vor Fehlern nicht gefeit ist, wenn sie an die Verantwortung für die Beteiligten denkt.
Fehlerkultur, so zeigt sich in dieser Lichtensteiger Runde, ist auch eine biografische Frage; je nach Kunstsozialisation drängen sich andere Anliegen auf. Verbindliche Leitplanken, die Eckdaten des Auftrags oder die Rechtfertigung der Absicht, sind der studierten Illustratorin Sara Lavelle nicht fremd – denn visuelle Kommunikation droht stets daran zu scheitern, dass sie ihre Botschaft verfehlt. In ihrer Malerei setzt sie diesem Wunsch nach Deutlichkeit auch von daher kommend einen Raum entgegen, der den Betrachter*innen Sicherheit gibt – auch vor der Stimme der Künstlerin, vor dem Einverständnis mit ihr. Nicolle Bussien hat ebenfalls die Richtung gewechselt, begann aber auf der gegenüberliegenden Seite: Bei der Angst vor dem Überexpliziten, die sie damals durch die Kunstschule geistern spürte. Dieser Prägung entgegnet sie nicht zuletzt mit verstärkter Politisierung. Sara Lavelles Frage nach der einschliessenden Wirkung der unmissverständlichen Haltung bleibt als anregende Andeutung im Raum hängen. Kunstvermittlerin Nadia Leonhard erweitert die Problematik des Fehlers um eine didaktische Dimension: Wird die Vorstellung vom Endprodukt übermächtig, beginnt hinter jeder Richtung der Fehltritt zu lauern; der Weg wird unendlich, wie er unsichtbar wird – Blockade. Zum Glück, die Schule habe da längst dazugelernt.
Wer kann sich’s leisten? – die Frage, durch die Nicolle Bussien den Ladendiebstahl provokativ als weisses Privileg politisiert, fällt schliesslich auf die Frage des Fehlers zurück. Auch Fehlerfreiheit, so musste Sara Lavelle es auf dem präkarisierten Kunstmarkt der britischen Insel erleben, ist eben ein Privileg. Stell dir vor: Du zahlst 9’000 Pfund, um – aus dem überquellenden Schulgebäude verdrängt – ein Jahr im Home Studio zu malen, während der Staat in der pandemischen Krise das Recht des Stärkeren verschärft und die Frage nach dem Einkommen beständig an dir nagt – wie viele Fehler willst du dir da noch leisten?
DAVID HUNZIKER
26.08.2021