26.08.2021
Was ist das eigentlich, ein gutes Leben? Diese wahlweise tiefsinnige oder völlig banale Frage, vor der die akademische Philosophie schon lange kapituliert hat, wirft Marcel Hörler hier einfach mal in die ziemlich heterogene Runde. Direkt ums gute Leben geht es dann aber kaum, eher um das, was es vereitelt: die mühselige Frage des Überlebens im neoliberalen Kampf der Vereinzelten. Is art free? So lautet die Frage zum Einstieg, aber wie lautet sie nochmal genau: frei oder gratis? Da holpert sie schon, die Romantik der freischwebenden Musse.
Aber vielleicht ist der Schlüssel zum guten Kunstleben sowieso ein anderer. Beth Gordon interveniert schlicht, aber schneidend: «Freiheit ist mir egal». Sie sitzt eingebettet in der Mitte von Lila Rétif und Cathie Bagoris, zusammen bilden die drei das Brüsseler Künstlerinnenkollektiv moilesautresart. Die Arbeit der drei Frauen geht stets von der Einsicht und der gelebten Realität aus, dass gegenseitige Abhängigkeit unausweichlich ist – von Judith Butler und Donna Haraway erlernt, aber auch von ganz alltagspraktischen Umständen: Die drei performen, wohnen und organisieren ihr Leben zwischen sehr offener Praxis und notweniger Lohnarbeit gemeinsam. Solche Arbeit, die das Kunstleben zahlt, ist immer wieder Thema in der künstlerischen Praxis des Kollektivs. In Mexico City, wo Beth Gordon auf einem Markt als Gemüse- und Früchteverkäuferin Geld verdiente, hatte sie einmal einen Traum: Dass die drei auf eben diesem Markt Kunst im Kilopreis anbieten. Also malten sie die Früchte und Gemüse auf eine Leinwand, zerschnitten, wogen und verkauften sie.
Auch über ökonomische Bedingungen spricht das Kollektiv hoch interessant. An der Kunstschule in Frankreich habe man über den Markt nicht reden wollen und also hiess es: Gute Kunst machen kannst du aus fast nichts. Mittlerweile, im Reich der Notwenigkeit angelangt, machen die drei weniger Performance und mehr Objekte – denn ein Kunstwerk, das die Anwesenheit der Künstlerin erfordert, ist auch ein Zeitprivileg. «Wir haben Masterabschlüsse, aber um die Miete zu bezahlen, müssen wir Arbeiten erledigen, die nichts damit zu tun haben», sagt Lila Rétif. «Das ist eine seltsame Situation.»
Flo Wäspe schätzt sich glücklich, in solchen Fragen an einem guten Ort zu sein, aber das Balancieren zwischen Einkommen und Ausdruck gehört für ihn immer dazu. Auch der Kunstmarkt bietet ihm keinen Ausweg, eher das gleiche Spiel in anderer Gestalt. Stattdessen nimmt er den Weg übers Handwerk. Der gelernte Tontechniker hat Sounds fürs Radio designt, im eigenen Studio Platten kalibriert, aber auch seine eigenen Installationen und Performances verkabelt.
Und dann ist da noch Andrej Polukord, tätig als Künstler und mobiler Galerist in Wien. Wobei, als Künstler sieht er sich, an eine Bemerkung von Flo Wäspe anschliessend, nur hobbysionell. Denn richtige Künstler*innen, holt er die Romantik zurück in die Runde, würden doch immer durch die Nacht arbeiten. Gut essen, früh schlafen gehen – so will Andrej Polukord sich dem guten Leben annähern. Gibt er da gerade den Troll oder vielleicht gar so etwas wie einen absurden Utopisten? Die Frage liegt verschoben im Raum, aber die Antwort auf die Tagesfrage kommt schnörkellos: «Bürokratie vor dem Computer ist langweilig, Pilze sammeln im Wald macht Spass.» Aha, Pilze!
DAVID HUNZIKER
26.08.2021